DIE RHEINPFALZ — NR. 50         MONTAG, 01. März  2010

 

Sentas wunderbarer Waschsalon

Ein Geniestreich: Regisseur Stefan Tilch erzählt Richard Wagners "Der fliegende Holländer" in Kaiserslautern völlig neu

Wer glaubt, Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ bestens zu kennen,

dem sei ein Besuch im Kaiserslauterer Pfalztheater empfohlen.

Regisseur Stefan Tilch gelingt dort das Kunststück, die Geschichte neu

– und völlig schlüssig – zu erzählen. Diese Inszenierung ist ein Geniestreich!

Harry Kupfer und Claus Guth haben uns den „Holländer“ in Bayreuth als

(Alp-)Traum der Senta erzählt. Schließlich glaubt ja auch niemand

mehr an die Spukgeschichte der Vorlage, über die sich schon Heinrich Heine lustig gemacht hat.

Und Segelschiffe auf der Opernbühne sind ungefähr so out wie Bärenfelle als Siegfried-

Oberbekleidung. Dann doch lieber: Augen zu – und rein in Wagners

Psycho-Kammerspiel namens „Der fliegende Holländer“.

Und das geht ungefähr so: Während der Ouvertüre wachen die vier

Hauptfiguren schweißgebadet eine nach der anderen auf: zunächst der

Holländer, dann Erik, Daland, schließlich Senta. Schlecht geträumt haben

alle, aber was das Publikum in Kaiserslautern erlebt, ist der böse

Traum, mit dem Erik seine eigene Zukunft vorwegnimmt.

Zurückgewiesen von Senta, die auf einen wartet, der noch cooler und

hipper ist als er, auf einen künstlerisch veranlagten, malenden Außenseiter,

der in einem Zelt lebt, sieht sich Erik auch mit einem künftigen

Schwiegervater konfrontiert, dem materielle Werte über alles gehen.

Der Daland seiner Traumwelt ist ein kleinbürgerlicher Spießer, in dessen

Wohnzimmer nicht nur miefige Sofas samt Kissen mit Schlagkante stehen,

sondern die Regale auch überfüllt sind mit Sparschweinen. Geld regiert

die Welt, und ohne Kohle keine Senta.

Also träumt sich Erik sein Leben ganz anders. Abgelegte schöne Frauenkörper

pflastern als sexy Zombies seinen Weg ebenso wie gebrochene

Herzen. Alle müssen sie büßen für Sentas Grausamkeit. Man sieht sich

immer zweimal im Leben, und anstelle eines Holländer-Schiffes ersteht

zu Beginn des Stückes ein protziger Glaspalast neben der Piefbude

Dalands, die allenfalls als Floß durchgehen kann, während das Hochhaus

zumindest wie der Bug eines Luxusdampfers aussieht. Erik ist back in

town. Hipper, cooler, reicher, potenter: Erik ist – der fliegende Holländer.

Also eher umgekehrt: Der Holländer ist ebenso der Traum wie der

Alptraum von Eriks Zukunft. Und im Traum rächt er sich für all

die Zurückweisungen, die er erdulden musste. Als eine Art globaler Super-

Ackermann macht er die kleine norwegische Daland-Bank („norske

bank“ steht über seiner Tür) einfach platt. Der Holländer ist hier tatsächlich

ein Untoter, ein blutsaugender Vampir, der sich von Senta zwar Kaffee

und Schwarzwälderkirschtorte servieren lässt, später aber eher ungerührt

bleibt angesichts ihres zerschmetterten Körpers – als sie mitbekommt,

was für ein ausschweifendes Leben man in dem Glaspalast ihres

Zukünftigen führt, schmeißt sie sich lieber aus dem Fenster. Erik

aber bezieht mit seinem Senta-Gemälde das Chefbüro in dem Hochhaus-

Schiff des Holländers. Wahrscheinlich fängt für Erik/Holländer

im Traum sowieso alles wieder von vorne an. Vielleicht – davon erzählt

die Oper jedoch nichts mehr – haben aber auch alle aus ihren Fehlern gelernt.

Die Idee von Regisseur Tilch funktioniert ganz wunderbar. Und da

Bühnenbildner Thomas Dörfler die Hütte Dalands und das Bürogebäude

des Holländers so gebaut hat, dass man sie auch als Schiffe sehen kann,

muss man den Abend auch gar nicht so verstehen. Man kann auch die

werktreue Handlung herauslesen, wobei dies in Kaiserslautern nur

möglich ist, weil die Technik einen Höchstleistungsjob zu vollbringen

hat. Dass es dann einmal an einer Stelle hakt und der Waschsalon, in

dem Senta wie in ein Gefängnis ihrer kleinbürgerlichen Existenz eingesperrt

ist, zu Beginn des zweiten Bildes nicht gleich hochfahren will – geschenkt!

Es tut dem spannenden Abend keinen Abbruch.

An dem hat auch ein engagiert zu Werke gehendes Pfalztheater-Orchester

unter Till Hass seinen Anteil. So schnörkellos die Regie die Geschichte

erzählt, so kompromisslos agiert auch der Kapellmeister des

Kaiserslauterer Hauses. Das ist ein zupackender, kerniger Wagner-

Klang – lange vor der Erfindung der unendlichen Melodie und des Tristan-

Akkords. Man hört, dass der Bayreuther Meister eben nicht vom Himmel

gefallen ist, sondern viel von Bellini, Rossini, Meyerbeer gelernt hat.

Die kürzeste aller Wagner-Opern wird so zugleich auch zur kürzesten

aller Grand opéras. Und das Musikdrama klopft dennoch schon an.

Gesungen wird auf erstaunlich hohem Niveau, auch vom Pfalztheaterchor,

trotz kleinerer Ungenauigkeiten zu Beginn des dritten Bildes. Dies

gilt sowohl für die Gäste Andreas Macco (Holländer) und Michael

Dries (Daland) – als auch für die hauseigenen Kräfte Adelheid Fink (Senta)

und Steffen Schantz, der als Erik wie ein jüngerer Bruder des Holländers

aussieht (Kostüme: Christl Wein). Ein Extralob verdient sich der Steuermann,

gesungen von Hans-Jörg Bock.

TERMINE

Vorstellungen am 3., 6., 10., 16., 27.

März, 16. April und am 9., 15. Mai.