L`Orfeo Premiere 28.02.2009
Der Himmel wird zum Internat
Von unserem Redaktionsmitglied
Uwe Rauschelbach
Wenn sich im Pfalztheater Kaiserslautern
der Vorhang hebt, wird viel
fürs Auge geboten (Bühnenbild:
Thomas Dörfler). Glühbirnchen
blinken als Sterne am Firmament,
das sich über den Mauern einer Bauruine
wölbt. Das Geschehen spielt
sich fortan zwischen diesen Mauern
ab, aus denen Baugerüste ragen.
Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ lebt
in einer Fantasiewelt, die von einer
omnipräsenten Trash-Ästhetik
längst entmystifiziert worden ist.
In der pfälzischen Fußballstadt ist
von der antiken Herkunft des Mythos
jedenfalls nicht mehr viel zu
spüren. Die Inszenierung von Urs
Häberli ist stattdessen bemüht, den
Hergang des Geschehens in ein imaginäres
Heute zu versetzen. Gottvater
Apollo (Hans-Jörg Bock) schwebt
in einem Krankorb über der Szenerie,
in der sich eine Gesellschaft in
Partyklamotten amüsiert.
Boten des Unheils
Doch auf den Jubel folgt – damals
wie heute – die Krise. Das kann man
schon im Voraus ahnen. Immer wieder
schleichen graue Männer mit
Aktentaschen und Regenschirmen
über die Bühne: geheimnisvolle Boten
des bevorstehenden Unheils.
Der Hades ist denn auch nur einen
kleinen Wirklichkeitssprung von der
sichtbaren Realität entfernt. Die gestorbene
Eurydike wird in einer Art
Swimmingpool gefangen gehalten.
Nach dem missglückten Befreiungsversuch
– der verhängnisvolle Blick
zurück! – muss sich Orpheus von seinem
Vater, dem gottgleichen Baulöwen,
aus der verdrießlichen Situation
raushauen lassen. Ein Lehrstück
für Disziplinlosigkeit.
In der Unterwelt, auf dem Grund
des Swimmingpools, begegnet Orpheus
den strengen, aber ratlosen
Erziehern eines diabolischen Bildungssystems.
Charon, der Fährmann
(Dmitri Oussar), agiert wie ein
müder Pädagoge kurz vor dem Burnout
und ist auch gesanglich schwach
auf der Brust. Und obwohl Pluto
(Alexis Wagner) mit dem stahlharten
Paukertypus alter Prägung kokettiert,
hat diese von der gesellschaftlichen
Realität längst eingeholte Hölle
ihr apokalyptisches Potenzial ebenso
eingebüßt wie der Himmel seine
paradiesischen Verheißungen. Dass
die bösen Geister jener säkularisierten
Unterwelt in ihren grauen Anzügen
an skrupellose Bankmanager
denken lassen – geschenkt. Am Ende
wird Orpheus in einen Himmel aufgenommen,
der den Charme eines
Internats für schwer Erziehbare verströmt.
Trotz des musikalischen Jubels
und des strahlenden Lichterglanzes.
Für szenische Intensität und charakterliche
Konturen sorgt vor allem
Adelheid Fink, die in der Doppelrolle
als Überbringerin der Sterbensnachricht
und als Proserpina mit dräuendem
Alt die dramatischen Ausdrucksmöglichkeiten
der Belcanto-
Oper vorwegnimmt. Als früh sterbende
Eurydike hat Lisa Cristelli wenig
Möglichkeiten, mit einer personalen
Entwicklung zu überzeugen.
Hingegen gestaltet Tobias Scharfenberger
seine Rolle als Orpheus mit
allen Nuancen aus, die das Arsenal
an Gefühlen und Regungen bietet.
Betörender Sopran
Die Gesangsleistungen der Solisten
wie auch des Chores (Ulrich Nolte)
sind zu loben, allen voran Tobias
Scharfenberger mit seinem kräftig,
warm getönten und variablen Bariton.
Arlette Meißner singt als Sopran-
Musica einen betörenden Prolog
und lässt Orpheus später beim
gemeinsamen Gang in die Unterwelt
fast die arme Eurydike vergessen.
Das Orchester des Pfalztheaters
nähert sich dem frühbarocken Stil
unter der Leitung von Till Hass einerseits
mit historisch-informierter
Musizierweise, poliert den tänzerisch-
folkloristischen Monteverdi-
Sound aber zugleich mit akzentuiertem
und impulsiven Spiel sowie
neueren Instrumenten wie Klarinette
und Saxofon (Instrumentierung:
Samuel Bächli) auf. Die Interaktion
zwischen Musik und Darstellern ist
von Übersicht und Einvernehmen
geprägt. Sie bezieht auch das Publikum
ein, das am Ende ausnahmslos
herzlich applaudiert.