Neue Musikzeitung – online – 6. Februar 2009 – von Andreas Hauff
Triumphales Unheil –
Zemlinksys „Der König Kandaules“ am Pfalztheater Kaiserslautern
Ein Image hält sich hartnäckig. So wie die Kurpfälzer und Vorderpfälzer gerne auf die Hinterpfälzer herabblicken, so gilt in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg das Kaiserslauterner Pfalztheater als provinziell. Mit der Leistung der pfälzischen Bühne hat das mittlerweile nichts mehr zu tun. Inzwischen nimmt das von Intendant Johannes Reitmeier klug geführte Haus sein Publikum jährlich auf eine musikalisch-szenische Entdeckungsreise, die auch im weiteren Umkreis ihresgleichen sucht.
Die musikalischen Leistungen sind solide bis hervorragend, und die szenische Umsetzung ist in aller Regel weder altbacken noch aufgesetzt modern, sondern von unbefangener, werkorientierter Stringenz. Die Zuschauer gehen mit. GMD Uwe Sandner, seit 2007/08 im Amt, hat sich von Anfang an der vergessenen und verdrängten Musik der 1920er- und 1930er-Jahre verschrieben. Den Anfang machte die Reihe vor einem knappen Jahr mit Erwin Schulhoffs „Flammen“. Nun bejubelte das Publikum mit einer Begeisterung, die vor Jahren noch kaum denkbar gewesen wäre, die Premiere von Alexander Zemlinskys „Der König Kandaules“
Zemlinskys (von Antony Beaumont fertig instrumentierte) Partitur verbindet starke expressionistische mit einigen impressionistischen und wenigen neoklassizistischen Elementen. Das Orchester des Pfalztheaters spielte sie unter Sandners Leitung wie aus einem Guss. Geradezu zwingend charakterisierte sie das sich auf der Bühne abspielende Drama.
Henry Arnolds Inszenierung zeigt deutlich, wie eine freundschaftlich-philosophische Überlegung zur Frage „Was ist Glück?“ in ein tödliches Experiment mündet. König Kandaules, dem es in seinem opportunistischen, schmeichlerischen Hofstaat an wirklicher menschlicher Nähe fehlt, will sein Glück teilen. Er nötigt seine bisher stets verschleierte Gattin Nyssia, sich beim Gastmahl offen zu zeigen, und er drängt dem armen Fischer Gyges nicht nur seine Freundschaft, sondern auch Nyssia auf. Mit Hilfe des unsichtbar machenden Ringes verbringt Gyges anstelle des Königs die Nacht mit der Königin. Am nächsten Morgen verliert Kandaules vor Eifersucht die Fassung. Damit hat er die Grenze überschritten: Er zerstört sein Selbstbild, seine Ehe und seine Autorität. Voller Skrupel gesteht Gyges der Königin den wahren Sachverhalt. Die drängt ihn, um ihrer Ehre willen den König zu töten. Kandaules empfängt den tödlichen Stich ohne Gegenwehr und Nyssia – nunmehr unverschleiert – ruft Gyges zum König aus. Der Hofstaat gehorcht.
Zemlinskys 1935 bis 1938 komponierte Oper atmet den Geist des Fin de Siècle und weist doch darüber hinaus. Sie zielt letztlich nicht auf das tragische Ende des Kandaules, sondern auf die Schlusswendung, in der Nyssia sich emanzipiert und der kleine Mann vom Strand die Nachfolge des kultivierten Königs antritt. Die Musik begleitet diese Szene mit einem düster-triumphalen Unheilsmarsch. Da spiegelt sich nicht nur das neue Frauenbild der 1920er-Jahre, sondern auch die Ablösung der liebenswert unfähigen europäischen Monarchien durch einen neuen, brutalen Typus von Führerstaat.
Doch tut Regisseur Arnold Recht daran, das Werk nicht als Zeitoper zu erzählen, sondern diese Zusammenhänge unterschwellig spürbar werden zu lassen. So entwickelt sich auf der von Thomas Dörfler als archaische Felsenlandschaft gestalteten Bühne eine archetypisch wirkende Tragödie, die Zuschauer und Zuhörer zum Nachdenken zwingt. Einige Szenen werden von Filmsequenzen begleitet, auf denen die Darsteller zu sehen sind. Man erlebt optische Varianten des Geschehens bis hin zu Vorausahnungen des tödlichen Ausgangs.
Die Szenen wirken durchaus suggestiv, lenken aber bisweilen zu stark vom Bühnengeschehen und der ausgezeichneten Personenführung ab. Jede einzelne Figur des Hofstaates ist bis ins Kostüm hinein als individuelle Type gezeichnet. Und das Zusammenspiel der Dreierkonstellation Kandaules (Douglas Nasrawi), Nyssia (Valérie Suty) und Gyges (Thomas de Vries) entfaltet sich differenziert bis in die kleinste Geste. Sängerisch bleiben keine Wünsche offen; die Textverständlichkeit ist (trotz deutscher Übertitelung) erfreulich gut.