Ritter mit Bauch und Puppe
Kammersänger Bernd Weikl inszeniert und singt Verdis „Falstaff" am Pfalztheater in Kaiserslautern
Von Frank Pommer
Mit Bernd Weikl hat das Pfalztheater einen der Stars der Szene für die Titelpartie in Verdis letzter Oper „Falstaff" verpflichtet. Es gibt nicht viele Sänger, die diese Partie so singen und spielen können. Der Kaiserslauterer „Falstaff" mit Generalmusikdirektor Uwe Sandner am Pult wird aber zum Weikl"schen Gesamtkunstwerk: Wie schon 2002 in der „Salome", der ersten Premiere in der Ära von Intendant Johannes Reitmeier, führt der Kammersänger auch Regie.
Wenn der Vorhang aufgeht, steht da schon, um was es eigentlich geht: „Tutto nel mondo è burla." Alles in der Welt ist - Posse. Schmierenkomödie. Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind nur die Kandidaten. Hier aber mal wirklich. Bühnenbildner Thomas Dörfler hat Regisseur Weikl eine Weltkarte auf die Bühnenrückwand geworfen, in der sich Türen und Fenster öffnen lassen, von denen aus das böse oder vielleicht auch lustige Spiel, das die Welt mit Falstaff und Falstaff mit der Welt treibt, beobachtet werden kann. Die Seitenwände unterstreichen, wie allumfassend die zentrale Botschaft des Abends ist: Quasi die ganze große und kleine Welt ist dort versammelt, von Angela Merkel bis Papst Benedikt, von Generalmusikdirektor Uwe Sandner bis Bezirkstagsvorsitzender Theo Wieder, Horst Köhler ebenso wie Madonna, Giuseppe Verdi wie Franz Beckenbauer. Die beiden Seitenaltäre lassen sich zum Triptychon vervollständigen: Mit Muskelkraft kann die Bühne bei den Szenewechseln der Handlung gedreht werden: Die Rückseite der Welt zeigt dann die ganze bunte Promi-Welt.
Willkommen also in der Traumfabrik Verdis, im Zirkus Falstaffs. Die Manege öffnet sich, noch ehe die ersten Klänge aus dem Graben kommen. Das gesamte Opernpersonal zieht vorbei, allesamt Gaukler und Artisten unter der Direktion des fetten Ritters. Der aber, so dick er auch sein mag in seinem fassartigen Bauch, der ihm vor aller Augen angelegt wird, kommt nicht ohne einen Doppelgänger aus: Eine kleine Handpuppe begleitet ihn durch das wilde Treiben, das die lustigen Weiber von Windsor mit ihm veranstalten. Sie ist es beispielsweise auch, die am Ende des 2. Aktes stellvertretend für ihren Puppenspieler in eine Badewanne plumpst - man wird sich also tatsächlich fragen dürfen, wer hier wen foppt.
In den Kostümen von Julia Holewik lässt Regisseur Weikl darüber hinaus Verdis geniales Alterswerk weitgehend ohne inszenatorische Eingriffe ablaufen. Er vertraut dem Stück, und vertraut natürlich vor allem sich selbst. Und es ist faszinierend, wie der Falstaff-Darsteller Weikl unter der Regie des Falstaff-Regisseurs Weikl von der Bühne des Pfalztheaters Besitz ergreift. Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, müsste man von einer Paraderolle sprechen. Dabei gerät er stimmlich in der Höhe oder auch im Falsett durchaus an seine Grenzen, aber das spielt überhaupt keine Rolle, weil Weikl mit jeder Geste, mit jeder Bewegung, mit jedem geseufzten, gehauchten, strahlend herausgeschmetterten Ton ganz der letzte Ritter von der feisten Gestalt ist. In hautengen Radlerhosen. Das nennt man dann wohl mutig...
Doch auch in seiner albernen Kostümierung rettet Weikl die Würde des dicken Ritters. Er hat jedenfalls unsere Sympathien, viel mehr als der kraftmeierische Muskelprotz Fenton (Steffen Schantz) oder auch der smarte Ford, der ja mit seinen Plänen und Intrigen am Ende ebenso scheitert wie Falstaff selbst. Und den Carlos Aguirre geradezu verschwenderisch mit strahlendem heldenbaritonalem Stimmmaterial ausstattet.
Gesungen wird überhaupt weitgehend auf hohem Niveau, gerade auch von den Damen, angeführt von einer äußerst verführerischen Alice Ford (Adelheid Fink), der man ihre unverbrüchliche Treue zu ihrem Mann eigentlich nie glauben will. Arlette Meißner singt als Nanetta im Schlussakt eine wunderbare Elfenkönigin, aber auch Yanyu Guo (Miss Quickly) und Wioletta Hebrowska (Meg Page) überzeugen stimmlich. Nur darstellerisch greift die Personenregie Weikls etwas zu kurz. Aus dem Damenquartett müssten ebenso viele komischen Funken sprühen wie aus den Auftritten der Titelfigur. Hier aber verpufft die komödiantische Energie dieser Oper fast etwas, anders als beim männlichen Rest des Ensembles, bestehend aus John Pickering (Cajus), Marian Henze (Bardolfo) und Alexis Wagner (Pistola), die darstellerisch von Weikl offenbar mitgezogen werden.
Dass der „Falstaff" Verdis mit Abstand heikelste und schwierigste Partitur ist, ist eine Binsenweisheit. Hier lässt sich kein Wackler mit einer Aida-Trompete übertröten. Alles ist hörbar in diesem unglaublich transparent notierten, mit der Polyphonie spielenden und einer großen Schlussfuge auftrumpfenden Orchestersatz. Die Ensembleszenen werden zur Schwerstarbeit für Generalmusikdirektor Uwe Sandner, der jedoch nicht verhindern kann, dass Bühne und Graben hin und wieder eine Art Eigenleben entwickeln. Weikls innige Umarmung an den musikalischen Chef des Abends zum Schlussapplaus ist dennoch mehr als verdient. Weil dieser „Falstaff" eine rundum gelungene Produktion ist.
Musiktheater: Verdis "Falstaff" feiert am Pfalztheater Kaiserslautern Premiere
Von Ehre wird niemand satt
Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Rauschelbach
kann sich einer wie Falstaff zwischen Rhein und Haardt richtig heimisch fühlen. Der Held in Verdis Oper stolziert auf der Bühne des Kaiserslauterner Pfalztheaters denn auch mit dem Habitus eines auf Wein- und Wurstfesten sozialisierten Genussmenschen umher.
Dabei wissen wir natürlich, dass Pfälzer in Strickjacken durchaus Machtmenschen sein können, die es mit den vielbeschworenen Tugenden nicht immer so ganz genau nehmen. So einer ist auch Falstaff in der Inszenierung von Regisseur und Kammersänger Bernd Weikl, der den Ritter von gar nicht trauriger Gestalt gleich selbst verkörpert: ein beleibter Biedermeier, der es zudem faustdick hinter den Ohren hat. Und der für einen schnöden Geldgewinn oder ein schlüpfriges Rendezvous durchaus ein paar gute Vorsätze sausen lässt. Tugenden wie Ehre oder Gottesfurcht werden in Verdis einziger Buffa-Oper, die sich auf Shakespeares Textvorlage der "Lustigen Weiber von Windsor" stützt, karikiert. "Kann die Ehre auch den Bauch füllen?" nimmt Falstaff jenes Brechtsche Diktum vorweg, wonach die Welt das Fressen vor die Moral gesetzt habe.
Bernd Weikl, der dem abgehalfterten Ritter mit kräftiger Baritonstimme Kontur gibt, spielt die Hauptfigur eine Spur zu harmlos und unbedarft. Er wirkt in seiner bräsigen Gutmütigkeit zu sympathisch. Seine trickreichen Händel in der Finanz- oder Weiberwelt nehmen wir ihm nicht ab. Als Getriebener stolpert er von einer Szene in die andere, und selbst wenn die Lehre am Ende alle Beteiligten - einschließlich der Zuschauer - als Genasweiste entlarvt, so bleibt Falstaffs dramaturgisch insinuierte diabolische Charakterstruktur ebenso blass wie der Running Gag in Gestalt eines im Gorillafell steckenden Statisten, der immer mal wieder bedrohlich nahe an der ersten Zuschauerreihe entlang hetzt.
Dennoch beeindruckt uns die Inszenierung nachhaltig. Regisseur Bernd Weikl und Dramaturg Andreas Bronkalla retten das Stück trotz der zahlreichen Krawallszenen, der Staccatogesänge, der kakophonischen Tutti-Partien und der stets triumphieren wollenden Bauernschläue vor den Anmutungen eines rustikalen Komödienstadels. Immer wieder brechen ganz spontan Anflüge von Tragik in die Szenen ein, wird uns unter dem Himmel der Liebe auch die Hölle der Enttäuschung gezeigt. Es kommt zu bewegenden Szenen, von denen uns vor allem das Finale mit der in Elfengewändern auftretenden Gesellschaft in seiner fabelweltlichen Ästhetik und seiner versöhnlichen Wende bewegt.
Wobei die phantasievolle Lichtregie (Manfred Wilking) einen großen Anteil an der szenischen Gestaltung hat. Das Bühnenbild (Thomas Dörfler) zeigt uns die halbe Erdkugel auf einer Scheibe, die mit der zentralen Erkenntnis überschrieben ist: "Alles in der Welt ist Posse." Begeisternd spielt zur Premiere das Pfalztheaterorchester unter Leitung von Uwe Sandner auf. Es ist sehr nahe dran am Bühnengeschehen und kommentiert Gesang und Aktionen mit Sensibilität und Präsenz.
Die gesanglichen Leistungen der Darsteller sind fast durchweg höchst beachtlich. Neben Bernd Weikl agiert Carlos Aguirre in der Rolle des Ford, der die Schmerzen der Liebe in einer durchdringenden Bariton-Arie besingt. Oder Steffen Schantz mit einer Belcanto-reifen Tenorarie, in der die ganze Leidenschaft der Gefühle zum Ausdruck kommt. Vor allem aber Arlette Meißner, die die Rolle der Nannetta mit Gold in der Stimme verkörpert - ein Sopran wie Vogelgesang im Frühling. Das erquicklich-durchtriebene Quartett an Intrigantinnen vervollständigen Adelheid Fink als Alice, Yanyu Guo als Quickly und Wioletta Hebrowska als Meg Page. Nicht zu vergessen der wohlklingende Chor des Pfalztheaters (Ulrich Nolte).
Mannheimer Morgen
29. Juni 201
29. Juni 201