Datum: 23. Januar 2011
Tödlicher Konflikt der Kulturen
Von unserem Redakteur Dieter LintzDer Mut des Trierer Theaters, auf eine unbekannte Oper und einen aktuellen Inszenierungsansatz zu setzen, hat sich ausgezahlt. Leo Délibes' selten gespielte "Lakmé" geriet am Samstag zu einem rauschenden Erfolg für alle Beteiligten.
Trier. Es gibt Opern-Abende, die vier Stunden dauern, ohne dass irgendwas von Belang passiert. Nette Bilder, hübscher Gesang, und im Rausgehen redet jeder übers Wetter. Es gibt aber auch Aufführungen, da reichen ein paar Minuten, um selbst hartgesottensten Abonnenten Emotionen von ungeahnter Intensität zu bescheren.
Bewegender Abgesang auf zerstörte Hoffnungen
Die Trierer "Lakmé" hat einen solchen Gänsehaut-Moment: Wenn die Titelheldin ihre berühmte "Glöckchenarie" singt. Was schon lange zur Koloratur-Zirkusnummer im Opernwunschkonzert heruntergekommen ist, wird hier zum unglaublich bewegenden Abgesang auf zerstörte Hoffnungen, zu einer Klage gegen Engstirnigkeit und Hass. Adréana Kraschewski singt das Welten von kalter Vokal-Artistik entfernt, mit magischer Ausstrahlung und der menschlichen Würde einer Figur, deren Liebe keine Chance hat gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse - und die sich trotzdem nicht fügen will. Weiter kann man nicht weg sein von Folklore-Kitsch, als es Regisseur Bruno Berger-Gorski in diesem Moment, aber auch in seiner ganzen Inszenierung ist.
Eine beeindruckende Ruinenstadt hat ihm Bühnenbildner Thomas Dörfler hingestellt, mit bröckelnden Mauern, auf denen verblichene Bilder an bessere Zeiten erinnern. Patroullierende Uno-Blauhelme verorten die Handlung in der Gegenwart, statt Messer-Attacken gibt es Selbstmord-Attentate, am Ende vergiftet sich Lakmé nicht, sondern sie verbrennt sich selbst. Aber die Aktualisierungen sind nicht plakativ und beliebig, sie nehmen die Motive des Stücks auf.
Zwei Weltanschauungen treffen aufeinander, vielfältig und detailgenau von der Regie in Szene gesetzt. Religiöser Fanatismus auf der einen, kulturelle Ignoranz auf der anderen Seite, dazu Armut, Ausbeutung, Fremdenangst, der Konflikt um die Rolle der Frau: Das ist der Stoff, aus dem jeden Tag die Krisenherde entstehen, die unsere Welt in Atem halten.
Aber die Oper mit ihrer prachtvollen Melodienseligkeit würde nicht funktionieren, gäbe es nicht auch Raum für Romantik. Und zwar in einem durchaus wörtlichen Sinn. Wenn sich die Priesterstochter Lakmé und ihr geliebter britischer Offizier ihren Illusionen hingeben, fällt aus dem Bühnenhimmel eine Art Schutzraum aus weißer, durchsichtiger Gaze, auf den sie ihre Hoffnungen projezieren. Wenn das Volk sich auf dem Markt trifft, geht es fröhlich und geschäftig zu (tolle, farbenfrohe Kostüme: Claudia Caséra).
Produktion aus einem Guss
Aber Berger-Gorski erspart uns nicht die Erkenntnis, dass das Idyll trügt: Auf diesem Markt kann man auch Kinder und Frauen für jeden Zweck kaufen. Das intelligente Konzept der Regie stößt an Grenzen, wenn es etwa, damit alles zusammenpasst, Lakmés Vater Nilakantha (markant: Alexander Trauth) - entgegen Délibes' musikalischer Charakterisierung - zum fanatischen Schlagetot degradiert, für den seine Tochter nur Mittel zum Zweck ist.
Aber damit kann man leben angesichts einer Produktion aus einem Guss, bei der Dirigent Victor Puhl nicht nur den (in Hochform befindlichen, tempomäßig und szenisch mächtig geforderten) Chor, die Solisten und das Orchester vorzüglich zusammenhält, sondern auch die musikalische Interpretation analog zur Bühne gestaltet.
Kein genüssliches Schwelgen in Harmonien, stattdessen große Spannungsbögen und geschärfte Kontraste. Eine starke Leistung. Der für Trierer Verhältnisse geradezu frenetische Jubel des ganzen Hauses für Adréana Kraschewski ist mehr als verdient. Makellos, anrührend, gesangstechnisch brillant gestaltet sie die schwierige Rolle. Andreas Wagner als Offizier Gerald, der sich letztlich doch für "seine" Kultur entscheidet, hat ein schönes lyrisches Timbre und eine souveräne "Attacke" der hohen Töne, könnte aber fürs französische Fach etwas runder und eleganter klingen.
Jeder Solist, auch in den kleineren Partien, hängt sich für diese Produktion sichtlich und hörbar rein. Claudia-Denise Beck singt ein herrliches Blumenduett und spielt sich als Mallika die Seele aus dem Leib, Carlos Aguirre ist ein luxuriös besetzter Offizierskollege Frederic, Peter Koppelmann, Evelyn Czesla, Vera Ilieva und Angela Pavonet liefern kleine, sorgfältige Rollenporträts. Am Ende minutenlanger Jubel. Einhellig auch für die Regie. Als wollten die Trierer demonstrieren, dass sie überhaupt kein Problem mit modernen Inszenierungen haben. Höchstens mit schlechten.