11. September 2011 | Von Albrecht Schmidt |
„Aida“: Coup im Land der Pharaonen
Musical: Prächtiger Einstieg in die neue Saison: Elton Johns „Aida“ im Großen Haus des Darmstädter Staatstheaters
„Was ist Liebe, was ist Glück“, rätselt die Statue der ägyptischen Prinzessin Amneris und verlässt, zu neuem Leben erwacht und
unbehelligt von der Touristengruppe im Saal, ihren angestammten Museumsplatz in einer goldglänzenden Vitrine. Mit diesem
Überraschungscoup beginnt das Musical „Aida“ mit der Musik von Elton John und den Songtexten von Tim Rice.
Die Handlung des vor zwölf Jahren entstandenen Stücks folgt im Wesentlichen dem von Verdis Oper bekannten Gang der Dinge um
die verbotene Liebe zwischen dem ägyptischen Feldherrn Radames und der äthiopischen Königstochter Aida, akzentuiert aber die
Vorgeschichte der Entführung Aidas stärker und führt auch neue Personen ein: den nach Ägypten verschleppten Nubier Mereb, der
die Flucht Aidas zu ermöglichen versucht, sowie den Ägypter Zoser, der seinen unehelichen Sohn Radames gegen dessen Willen
zum Bräutigam der Pharaonentochter Amneris machen will, um so in die Schaltzentrale der Macht vorzudringen.
Zum Auftakt der Saison hatte Elton Johns Musical im Staatstheater Darmstadt am Samstag in der packenden Inszenierung von
Johannes Reitmeier eine glänzende Premiere: Thomas Dörflers Bühnen-Extravaganz mit mobilen Elementen und einer multifunktionalen,
auf der Drehbühne permanent kreiselnden Treppenkonstruktion, Anthoula Papadakis’ Choreografie mit wirkungsvollen,
mitreißenden Szenen des Tanztheater-Ensembles, aufwendige Kostüme (Michael D. Zimmermann) und eindrucksvolle
Videoprojektionen (Karl-Heinz Christmann) von Palästen, Gräbern, Tempeln, Säulen und Wandmalereien sorgen für einen opulenten Rahmen.
Die enorme Vitalität und die unverbrauchte Spielfreude aller Mitwirkenden, ihr Elan und Enthusiasmus teilen sich dem Publikum unmittelbar mit.
Die Darmstädter Inszenierung stützt sich auf die deutsche Übersetzung von Michael Kunze, wobei nicht jedes Wort zu verstehen ist.
Das ist bei der bescheidenen Qualität der Texte (Aida: „Es muss mir nur gelingen, aus Verzweiflung nicht zu sterben“) auch gar nicht nötig.
Es genügt, sich auf die Emotionalität der mal sanften, mal zupackenden Songs einzulassen. In harten Kontrasten folgen sie dem
Libretto – ein Medley unterschiedlichster Musiknummern als faszinierender Versuch, aus den sattsam bekannten Gebrauchtteilen ein neues
Vehikel zusammenzuschrauben.
Musikalisch hat dieses Musical wenig Spannendes zu bieten. Trotz wirkungsvoller Nummern gibt es kaum Höhepunkte in dieser Partitur,
die bis auf das gospelartige Breitwandfinale des ersten Aktes kaum anspruchsvolle Passagen und – im Vergleich zu Andrew Lloyd Webber – keine Ohrwürmer
von der Qualität etwa betörender Songs aus der amerikanischen Frühform dieses Genres enthält. Immerhin: Das Staatsorchester Darmstadt stellt sich
in musicalgerechter Besetzung geschickt auf Elton John ein und musiziert unter der Leitung von Vladislav Karklin recht präzise. Dem Dirigenten gelingt es,
das emotionale Potenzial der Partitur zu vermitteln.
Dominique Aref in der Titelpartie der Aida und Chris Murray als Radames kommen sängerisch und darstellerisch fast einer Idealbesetzung nahe.
Randy Diamond singt sich als finsterer Bösewicht Zoser mit bissiger Intensität alle Grausamkeiten aus der schwarzen Seele. Seine Herkunft vom
Ballett zeigt sich in einer spektakulären Kampfszene, wenn der Vater-Sohn-Konflikt martialisch mit Knüppeln und Kickboxen ausgetragen wird.
Amneris (Sigrid Brandstetter) genießt in ihrer Glamourwelt („Schön bleiben ist ein hartes Stück Arbeit“) Schmuck und Kleider und schart neben schnuckeligen Blondies allerlei
schrille Figuren um sich herum.
Dem oft manierierten Musical-Timbre der Kollegen setzt Andreas Wagner als Mereb den opernhaften Ansatz entgegen, während sich Hubert Bischof (Pharao) und
Malte Godglück (Amonasro) mit Sprechrollen begnügen. Der Chor des Staatstheaters Darmstadt (Einstudierung: André Weiss) und die Statisterie sind
ungemein belebende Elemente dieser farbigen, bühnenwirksamen Inszenierung. Ein insgesamt prächtiger Einstieg in die neue Saison mit einem fantasievollen,pulsierenden
Erfolgsstück, das zeigt, wie gute und gefühlvolle, mit viel Spannung und Dramatik gespickte Unterhaltung funktionieren und ein Publikum in seinen Bann ziehen kann.
13.09.2011
Modenschau mit allerlei schrägen Typen
Musical: Eltons Johns Interpretation von »Aida« in Johannes Reitmeiers Inszenierung am Staatstheater Darmstadt
Darmstadt Die leichte Muse, zuständig für üppige Operetten und andere kleine Sünden, führt in Deutschland ein eher kärgliches Leben. Am Staatstheater Darmstadt immerhin darf sie jede Spielzeit einmal zeigen, zu welchen Leistungen sie fähig ist. In der gerade angelaufenen Saison gehört ihr mit dem Musical »Aida« des Gespanns Elton John und Tim Rice der Auftakt.
»Liebe, die den Tod besiegt«: Darin liegt für die arme Amneris am Ende der Sinn des Leidens und des Lebens. Das Erfolgsstück begann sein Dasein als Bilderbuch der Sopranistin Leontyne Price, die Kindern die Handlung von Verdis Ägyptenoper nahebringen wollte, wurde dann zur Off-Broadway-Show und später zum Broadway-Musical, das seit knapp zehn Jahren auch außerhalb der USA aufgeführt wird.
Aufwendig
Trotz dieser Häutungen wirkt das Stück erstaunlich homogen: Es orientiert sich eng an der berühmten Vorlage, auch wenn einige Figuren neu erfunden wurden; etwa der finstere Zoser, der sich später als Radames' Vater entpuppt, oder das Faktotum Mereb, der komödiantische Akzente setzen darf. Die aufwendige Inszenierung (Bühne: Thomas Dörfler) von Johannes Reitmeier kümmert sich wenig um ägyptisches Lokalkolorit, die fantasievollen Kostüme (Michael D. Zimmermann) deuten Ort und Zeit allenfalls an. Auch die Musik von Elton John ist eher ein Kaleidoskop seiner Möglichkeiten als Songschreiber denn musikethnologischer Korrektheit verpflichtet. Wenn es mal ägyptisch wird, dann erstaunlicherweise wie bei Giuseppe Verdi (1813 bis 1901): Mit Soloflöte über apart getupfter Begleitung.
Gesungen und gesprochen wird in Darmstadt auf Deutsch (Übersetzung: Michael Kunze), was den vielgestaltigen Songs nichts anhaben kann. Die einfältigen Dialoge grenzten aber oft ans Unfreiwillig-Komische und hätten eine Überarbeitung gut vertragen.
Den stärksten Auftritt hat sicher Amneris, intensiv und differenziert gesungen von Sigrid Brandstetter. Die Pharaonentochter ist das It-Girl der altägyptischen Wellness- und Modeszene. Ihr Song »Mein Sinn für Stil« entwickelt sich nach und nach zur grellen Modenschau mit Showtreppe und im Motown-Sound.
Spannend
Radames macht eine spannende Wandlung vom erfolgreichen Playboy und Raufbold zum aufrichtig liebenden, verzweifelten Mann durch. Aida ist von Anfang an eine starke Frau, deren Mut und Klugheit die Katastrophe dennoch nicht aufhalten können. Ein Liebesduett der beiden im Stil von Elton Johns schmelzenden Popballaden in der Mitte des ersten Aktes bekommt spontan Szenenapplaus, auch das Finale des ersten Aktes, ein großes Ensemble im Gospelstil, bleibt im Ohr.
Chris Murray als Radames und Dominique Aref spielen und singen überzeugend, wenn auch nicht immer frei vom forcierten Musicalton; dabei erscheint vor allem die strenge Schönheit Aref als ideale Aida. Das Ensemblemitglied Andreas Wagner verleiht dem Nubier Mereb tenoralen Buffocharme, der von André Weiss einstudierte Chor beweist einmal mehr seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Für die Choreographie zeichnet Anthoula Papadakis verantwortlich, das Orchester des Theaters in Broadway-Besetzung wird sensibel von Vladislav Karklin geleitet. Steffen Meder
Aufwendig
Trotz dieser Häutungen wirkt das Stück erstaunlich homogen: Es orientiert sich eng an der berühmten Vorlage, auch wenn einige Figuren neu erfunden wurden; etwa der finstere Zoser, der sich später als Radames' Vater entpuppt, oder das Faktotum Mereb, der komödiantische Akzente setzen darf. Die aufwendige Inszenierung (Bühne: Thomas Dörfler) von Johannes Reitmeier kümmert sich wenig um ägyptisches Lokalkolorit, die fantasievollen Kostüme (Michael D. Zimmermann) deuten Ort und Zeit allenfalls an. Auch die Musik von Elton John ist eher ein Kaleidoskop seiner Möglichkeiten als Songschreiber denn musikethnologischer Korrektheit verpflichtet. Wenn es mal ägyptisch wird, dann erstaunlicherweise wie bei Giuseppe Verdi (1813 bis 1901): Mit Soloflöte über apart getupfter Begleitung.
Gesungen und gesprochen wird in Darmstadt auf Deutsch (Übersetzung: Michael Kunze), was den vielgestaltigen Songs nichts anhaben kann. Die einfältigen Dialoge grenzten aber oft ans Unfreiwillig-Komische und hätten eine Überarbeitung gut vertragen.
Den stärksten Auftritt hat sicher Amneris, intensiv und differenziert gesungen von Sigrid Brandstetter. Die Pharaonentochter ist das It-Girl der altägyptischen Wellness- und Modeszene. Ihr Song »Mein Sinn für Stil« entwickelt sich nach und nach zur grellen Modenschau mit Showtreppe und im Motown-Sound.
Spannend
Radames macht eine spannende Wandlung vom erfolgreichen Playboy und Raufbold zum aufrichtig liebenden, verzweifelten Mann durch. Aida ist von Anfang an eine starke Frau, deren Mut und Klugheit die Katastrophe dennoch nicht aufhalten können. Ein Liebesduett der beiden im Stil von Elton Johns schmelzenden Popballaden in der Mitte des ersten Aktes bekommt spontan Szenenapplaus, auch das Finale des ersten Aktes, ein großes Ensemble im Gospelstil, bleibt im Ohr.
Chris Murray als Radames und Dominique Aref spielen und singen überzeugend, wenn auch nicht immer frei vom forcierten Musicalton; dabei erscheint vor allem die strenge Schönheit Aref als ideale Aida. Das Ensemblemitglied Andreas Wagner verleiht dem Nubier Mereb tenoralen Buffocharme, der von André Weiss einstudierte Chor beweist einmal mehr seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Für die Choreographie zeichnet Anthoula Papadakis verantwortlich, das Orchester des Theaters in Broadway-Besetzung wird sensibel von Vladislav Karklin geleitet. Steffen Meder
AIDA
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 10. September 11 (Premiere)
Wenn die Zuschauer feuchte Augen bekommen, dann haben es diejenigen auf der Bühne wohl mehr als richtig gemacht. So auch jetzt, bei der Premiere von Elton Johns und Tim Rices Musical AIDA, das die tragische Liebesgeschichte zwischen dem ägyptischen Heerführer Radames und der nubischen Prinzessin Aida erzählt.
Doch der Reihe nach. Nach seiner deutschsprachigen Erstaufführung im Essener Colosseum Theater tourte das Stück zunächst durch die Republik und wurde zuletzt mehrfach bei Freilichtfestspielen inszeniert. Inzwischen sind die Aufführungsrechte auch für Stadttheater erhältlich und das Staatstheater Darmstadt zeigt zeitgleich mit der Oper Chemnitz die berühmte Liebesgeschichte, die nicht zuletzt durch Verdis gleichnamige Oper bekannt ist.
Auch wenn für eine Longrun-Produktion selbstverständlich ein wesentlich aufwendigeres Bühnenbild genutzt werden kann, als für eine Stadttheaterproduktion, wo jeden Abend ein anderes Stück gegeben wird, braucht sich das Bühnenbild von Thomas Dörfler, wie auch die gesamte Inszenierung, nicht hinter der Essener Großproduktion zu verstecken. Ganz im Gegenteil. In Darmstadt besticht einfach alles: neben den großartigen Optiken hinsichtlich Bühnenbild und Kostüme auch die Darsteller, die großen Ensemble- und Tanzszenen und die präzise Personenführung seitens der Regie von Johannes Reitmeier.
Obwohl es gar nicht so viel Kulissen und Requisiten gibt, schaffte das Inszenierungsteam mit gut gemachten Bild- und Videoprojektionen den Zauber des alten Ägypten mit seinem Pharao, seinem Palast und den Pyramiden aufleben zu lassen. Die an sich leere Bühne ist eingerahmt von goldenen Quadern, im Mittelpunkt steht eine goldene, große und zweigliedrige moderne Stahltreppe. Vitrinen der Eröffnungsszene werden umgelegt, gleichzeitig als Boot für die Fahrt von Nubien nach Kairo genutzt. Die Pharaonentochter Amneris residiert auf einer modernen, goldenen Wellnessliege. Wie Gold generell die Farbe der Inszenierung ist, aus der natürlich auch das Portal des Pharaonenpalastes besteht (die einzig wirklich große Kulisse der Inszenierung).
Für diese Inszenierung verpflichtete das Staatstheater Darmstadt für die Besetzung der Hauptrollen Gäste. Der Deutsch-Amerikaner Chris Murray war hier bereits bei Webbers/Rices Musical „Jesus Christ Superstar“ engagiert. Bei AIDA spielt er erstmals den Radames. Und scheint ob seiner schier vor Kraft berstenden Rockstimme fast ein wenig unterfordert. Einen ersten Zwischenapplaus kann er schon bei seinem ersten Lied („Wer viel wagt, der gewinnt“) für sich verbuchen. Doch glänzt er auch im Piano, wie bei „Von einem Traum entführt“, kurz bevor er gemeinsam mit Aida unter dem Sand Ägyptens versinkt und ist stets sehr gut zu verstehen. Als AIDA erzaubert Dominique Gref mit viel Anmut und glaubhafter Entwicklung der sorglosen Prinzessin zur zwischen der Liebe zu Radames und zu ihrem Volk hin und her Gerissene. Überaus erfrischend und mit guter Laune ansteckend: die Amneris der Sigrid Brandstetter. Amneris ist ja die unglückliche Dritte, doch beweist sie am Ende trotz des Verrats große Gefühle. Ihre größte Nummer ist „Mein Sinn für Stil“, bei der bei der Essener Produktion einst ein großer Swimmingpool beeindruckte. Hier geht es ein klein wenig nüchterner zu, mit einem Clou wartet man aber auch hier auf. Die Modenschau wird von den männlichen Tänzern in exquisiten Frauengarderoben vorgeführt (für ein i-Tüpfelchen hätten sie allerdings auch Highheels tragen können). Die Nummer kommt groß an. Randy Diamond gibt einen diabolischen und energetischen Zoser. Großartig seine Kampfszene mit Radames, bei der die Bühne in ein blaues, nächtliches Licht getaucht ist („Wie Vater, so Sohn“). Ensemblemitglied Andreas Wagner gibt einen erwachsenen Mereb, klangschön, allerdings hört man hier im Unterschied zu den Gastmusicalsängern, seinen Opernstil ein klein wenig heraus.
Schauspielerisches Können und eine starke Präsenz zeichnet das gesamte Ensemble aus. Zumal das 3-Sparten-Haus auch jeweils fünf Damen und Herren vom Ballett für diese Produktion eingebunden hat, wodurch die Tanzszenen deutlich aufgewertet sind. Allerdings hatte Choreografin Anthoula Papadakis den Grußspruch „Hals und Beinbruch“ zu wörtlich genommen, zwei Tage vor der Premiere wurde ihr rechtes gebrochenes Bein operiert (weshalb sie beim Schlussapplaus im Rollstuhl auf der Bühne erschien).
Viel Aufwand wurde in die Kostüme (Kostüme: Michael D. Zimmermann) für das große Ensemble gesteckt, sei es bei denen für das ägyptische Volk, für die große Garde von Amneris Beautytempel (alle in Handtücher eingewickelt) oder die Schergen Zosers (in strengen Uniformen). Die im Programmheft nicht näher genannten Musiker spielten unter der Leitung von Vladislav Karklin einen satten Sound, der die Musik Elton Johns unter die Haut gehen ließ.
Da laut Programmheft die Dekorationen und Solisten-Kostüme in den Werkstätten des Pfalztheaters Kaiserslautern gefertigt wurden, wird diese Inszenierung wohl in einer der kommenden Spielzeiten auch dort zu sehen sein. Zunächst kann sich das musicalfreudige Publikum aber an der Darmstädter Inszenierung laben.
Markus Gründig, September 11
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 10. September 11 (Premiere)
Auch wenn für eine Longrun-Produktion selbstverständlich ein wesentlich aufwendigeres Bühnenbild genutzt werden kann, als für eine Stadttheaterproduktion, wo jeden Abend ein anderes Stück gegeben wird, braucht sich das Bühnenbild von Thomas Dörfler, wie auch die gesamte Inszenierung, nicht hinter der Essener Großproduktion zu verstecken. Ganz im Gegenteil. In Darmstadt besticht einfach alles: neben den großartigen Optiken hinsichtlich Bühnenbild und Kostüme auch die Darsteller, die großen Ensemble- und Tanzszenen und die präzise Personenführung seitens der Regie von Johannes Reitmeier.
Obwohl es gar nicht so viel Kulissen und Requisiten gibt, schaffte das Inszenierungsteam mit gut gemachten Bild- und Videoprojektionen den Zauber des alten Ägypten mit seinem Pharao, seinem Palast und den Pyramiden aufleben zu lassen. Die an sich leere Bühne ist eingerahmt von goldenen Quadern, im Mittelpunkt steht eine goldene, große und zweigliedrige moderne Stahltreppe. Vitrinen der Eröffnungsszene werden umgelegt, gleichzeitig als Boot für die Fahrt von Nubien nach Kairo genutzt. Die Pharaonentochter Amneris residiert auf einer modernen, goldenen Wellnessliege. Wie Gold generell die Farbe der Inszenierung ist, aus der natürlich auch das Portal des Pharaonenpalastes besteht (die einzig wirklich große Kulisse der Inszenierung).
Für diese Inszenierung verpflichtete das Staatstheater Darmstadt für die Besetzung der Hauptrollen Gäste. Der Deutsch-Amerikaner Chris Murray war hier bereits bei Webbers/Rices Musical „Jesus Christ Superstar“ engagiert. Bei AIDA spielt er erstmals den Radames. Und scheint ob seiner schier vor Kraft berstenden Rockstimme fast ein wenig unterfordert. Einen ersten Zwischenapplaus kann er schon bei seinem ersten Lied („Wer viel wagt, der gewinnt“) für sich verbuchen. Doch glänzt er auch im Piano, wie bei „Von einem Traum entführt“, kurz bevor er gemeinsam mit Aida unter dem Sand Ägyptens versinkt und ist stets sehr gut zu verstehen. Als AIDA erzaubert Dominique Gref mit viel Anmut und glaubhafter Entwicklung der sorglosen Prinzessin zur zwischen der Liebe zu Radames und zu ihrem Volk hin und her Gerissene. Überaus erfrischend und mit guter Laune ansteckend: die Amneris der Sigrid Brandstetter. Amneris ist ja die unglückliche Dritte, doch beweist sie am Ende trotz des Verrats große Gefühle. Ihre größte Nummer ist „Mein Sinn für Stil“, bei der bei der Essener Produktion einst ein großer Swimmingpool beeindruckte. Hier geht es ein klein wenig nüchterner zu, mit einem Clou wartet man aber auch hier auf. Die Modenschau wird von den männlichen Tänzern in exquisiten Frauengarderoben vorgeführt (für ein i-Tüpfelchen hätten sie allerdings auch Highheels tragen können). Die Nummer kommt groß an. Randy Diamond gibt einen diabolischen und energetischen Zoser. Großartig seine Kampfszene mit Radames, bei der die Bühne in ein blaues, nächtliches Licht getaucht ist („Wie Vater, so Sohn“). Ensemblemitglied Andreas Wagner gibt einen erwachsenen Mereb, klangschön, allerdings hört man hier im Unterschied zu den Gastmusicalsängern, seinen Opernstil ein klein wenig heraus.
Schauspielerisches Können und eine starke Präsenz zeichnet das gesamte Ensemble aus. Zumal das 3-Sparten-Haus auch jeweils fünf Damen und Herren vom Ballett für diese Produktion eingebunden hat, wodurch die Tanzszenen deutlich aufgewertet sind. Allerdings hatte Choreografin Anthoula Papadakis den Grußspruch „Hals und Beinbruch“ zu wörtlich genommen, zwei Tage vor der Premiere wurde ihr rechtes gebrochenes Bein operiert (weshalb sie beim Schlussapplaus im Rollstuhl auf der Bühne erschien).
Viel Aufwand wurde in die Kostüme (Kostüme: Michael D. Zimmermann) für das große Ensemble gesteckt, sei es bei denen für das ägyptische Volk, für die große Garde von Amneris Beautytempel (alle in Handtücher eingewickelt) oder die Schergen Zosers (in strengen Uniformen). Die im Programmheft nicht näher genannten Musiker spielten unter der Leitung von Vladislav Karklin einen satten Sound, der die Musik Elton Johns unter die Haut gehen ließ.
Da laut Programmheft die Dekorationen und Solisten-Kostüme in den Werkstätten des Pfalztheaters Kaiserslautern gefertigt wurden, wird diese Inszenierung wohl in einer der kommenden Spielzeiten auch dort zu sehen sein. Zunächst kann sich das musicalfreudige Publikum aber an der Darmstädter Inszenierung laben.
Markus Gründig, September 11
Eine sehenswerte AIDA-Produktion mehr
Am 10. September 2011 hieß es am Staatstheater Darmstadt „Bühne frei für AIDA!“; auf dem Spielplan stand jedoch ncht Verdis Oper, sondern das Elton John/Tim Rice-Musical. In der deutschen Fassung von Michael Kunze ist die tragische Liebesgeschichte in einer Neuinszenierung von Johannes Reitmeier zu sehen, und dieser hatte eine Reihe sehr gut funktionierender Einfälle.
Mit der genau richtigen Dosis an Abstraktheit spricht seine Inszenierung immer wieder eine klare, intensive Sprache, so zum Beispiel zu Beginn des zweiten Akts („Einen Schritt zu weit“), wo Aida, Amneris und Radames sich mit Augenbinden über die Bühne tasten. Ungereimtheiten - wie die Auspeitschung Amonasros, der seiner Tochter Aida gleich danach auf ihre Frage hin versichert, dass ihn niemand gequält habe - sind die Ausnahme. Unterm Strich unterhält und berührt Johannes Reitmeiers AIDA-Regie und überzeugt somit.
Wirkungsvoll ist auch die Bühne von Thomas Dörfler, die mit ihrer dreh- und teilbaren pyramidenförmigen Treppenkonstruktion immer wieder neue Bilder auf die Bühne zaubert und auch zu einem konkreten Ausdrucksmittel der Inszenierung wird (Stichpunkt: Nähe und Distanz zwischen Aida und Radames).
Visuell eindrucksvoll wird AIDA zudem durch die Videoprojektionen von Karl-Heinz Christmann, die das alte Ägypten zu neuem Leben erwecken.
Die ansprechende Choreografie von Anthoula Papadakis, flüssig unter Mitwirkung des hauseigenen Tanztheater-Ensembles umgesetzt, bringt lebendigen Ausdruck in die Produktion, ohne die Bühne zu überfrachten.
Die Kostüme stammen von Michael D. Zimmermann. Seine Designs erfüllen die Publikumserwartungen an die Optik das Musicals AIDA. Einzig Amneris’ Robe in der Szene „Sinn für Stil“ hätte man ausgefallener erwartet, damit Amneris, die ihrer Zeit stets deutlich voraus ist und Kleidung mit Anklängen verschiedener Epochen trägt, stärker in den Mittelpunkt gerückt wird. Die schrillsten, aufwändigsten Kleider werden von Herren getragen; diese „Travestie-Show“ wirkt effekthascherisch, ohne sich so ganz in die Handlung einzufügen.
Musikalischer Leiter ist Vladislav Karklin. Das Staatsorchester Darmstadt spielte die Premiere unter seinem Dirigat mit den nötigen Feingefühl für die Partitur.
Kraftvoll klingend erlebte man den Chor des Staatstheaters (Einstudierung: André Weiss) vor allem bei Titeln wie „Die Sonne Nubiens“.
In der Titelrolle der Aida steht mit Dominique Aref eine Künstlerin auf der Bühne, die Erfahrung als Aida mitbringt und diese Rolle gesanglich wie schauspielerisch sicher transportiert
.
Ihr Bühnenpartner ist Chris Murray als Radames (alternierend: Martin Pasching). Chris Murray ist von Typ und Stimme her eine eher untypische Besetzung für diese Rolle; dadurch gibt gerade er dem Radames eine neue, interessante Note. In der Premiere präsentierte er sich rundum topfit.
Als Amneris ist Sigrid Brandstetter zu sehen. Sie füllt ihre Rolle souverän aus.
Mereb wird von Andreas Wagner verkörpert, der seine volle klassische Stimme einzubringen weiß. - In der Darmstadter AIDA-Produktion ergänzen sich verschiedenste Klangfarben zu einem ausgewogenen Gesamtklangeindruck. Positiv anzumerken ist auch, dass nicht einzelne Darsteller - positiv wie negativ - übermäßig aus der Besetzung herausstechen.
In der Rolle des intriganten, machtgierigen Zoser erhielt Randy Diamond starken Premierenapplaus. Er zeigte sich als Musicaldarsteller par excellence, der alle drei Sparten - Tanz, Gesang und Schauspiel - beherrscht. Einem an sich recht harmlos klingenden Song wie „Eine Pyramide mehr“ verleiht er Biss!
Als Solisten waren am Premierenabend ferner Hubert Bischof (Pharao, alternierend dargestellt von Hans-Joachim Porcher), Sarah Rögner (Nehebka), Malte Godglück (Amonasro), Werner Volker Meyer (Krieger), Juri Lavrentiev (Nubier), Hanna Broström (Erste Nubierin) sowie Stephanie Eineder (Zweite Nubierin) mit ordentlicher Bühnenpräsenz zu sehen, die daneben auch der Chor des Staatstheaters Darmstadt auch die Statisterie des Hauses auf die Bühne brachten.
Fazit: Das Staatstheater Darmstadt hat mit AIDA eine ausgewogene Produktion dieses Musicals auf die Bühne gebracht, die einen Besuch lohnt.
Claudia Bauer-Püschel
(15.09.2011)