Ein Feuerwerk der Liebe

Stefano Giannettis großer Ballettabend am Pfalztheater Kaiserslautern


Von Fabian R. Lovisa


Stefano Giannetti ist Italiener mit Leib und Seele. Und so dreht sich sein großer Ballettabend am Pfalztheater auch um „Amore” - die Liebe. Doch keine heißblütige, südländische Musik hat sich der Kaiserslauterer Ballettchef für seine beiden Choreographien unter dem Titel „Liebesstürme” ausgesucht, sondern ausgerechnet die fünften Sinfonien des Russen Tschaikowski und des Finnen Sibelius. Dennoch schafft er eindrückliche Bilder der Freuden und Schmerzen, die dem Menschheitsthema inne wohnen.


Beliebt ist Tschaikowski bei Theatergängern und Choreographen gleichermaßen für seine unsterblichen Musiken wie „Nussknacker”, „Schwanensee” oder „Romeo und Julia”. Doch Giannetti nutzt diese Steilvorlagen nicht. Mit der fünften Sinfonie des Russen hat er sich dennoch ein Werk für den ersten Teil seines rund zweistündigen (mit Pause) Ballettabends gewählt, das bildkräftig und temperamentvoll gleichermaßen ist. Sowohl die folkloristischen Züge, als auch die dynamischen Extreme des Stücks bieten ihm Gelegenheit, starke Szenen rund um sein Generalthema zu formen.


Vom Liebessehnen und Konkurrieren über die Vereinigung bis zum Trennungsschmerz reichen dabei die Stationen. Auch die homoerotische Ader des Komponisten wird aufgegriffen. Das Vokabular der Tänzer pendelt dabei zwischen klassischen Momenten und Ausdruckstanz. Vor der uneinheitlichen Kulisse eines leeren Bühnenraums (erster Satz) und später klassischer russischer Architektur (Bühne: Thomas Dörfler) entstehen so dichte Momente in schönen Bildern, wobei die bekannten Schwächen der Ballettcompagnie in Sachen synchrone Abläufe und Leichtigkeit hervortreten. Sie fallen angesichts der herausragenden Leistung der Solisten Eleonora Fabrizi und Salvatore Nicolosi umso mehr auf. Auch die Flamenco-Zitate fügen sich nicht so recht in den Rahmen.


Mit Biss und Spielfreude überzeugt das Orchester unter Generalmusikdirektor Uwe Sandner. Lebendig ist der Ensembleklang, filigran und flink sind die Streicher im dritten Satz, satt knallt das Blech im Finale.


Wie ausgewechselt präsentieren sich Ensemble und Bühne dann im zweiten Teil des Abends. Gleich einer Lasershow, kühl und klar, ist die Kulisse, im Hintergrund taucht das Sibelius-Denkmal in Helsinki auf. In weiße, hautenge Einteiler ist die Compagnie gekleidet (Kostüme: Stefano Giannetti). Es entsteht ein homogenes Gesamtbild, was durchaus auch für die tänzerischen Leistungen gilt. Weitaus geschlossener in den Ensembleszenen, mit großer Spannkraft und mehr Tempo geraten die Abläufe fließender, die Figuren eleganter. Gabriella Limatola und Sobir Utabaev können sich hier solistisch profilieren. Es entsteht phasenweise eine atemberaubende Spannung in dieser futuristisch anmutenden Inszenierung, die Giannetti 2002 für das Finnische Nationalballett und das Sibelius-Festival entworfen hatte. Wiederum bindet der Choreograph die Figur des Komponisten mit ein: Das große Interesse des verheirateten Tonsetzers an der Frauenwelt scheint herauf.


Die ganze Klangpracht der in der Zeit des Ersten Weltkrieges entstandenen Sinfonie entfaltet das Pfalztheater-Orchester, arbeitet aber auch die düsteren, bedrückenden Seiten des Werkes heraus. Das Finale schließlich zündet gleich einem Feuerwerk und lässt die Besucher staunend zurück. So sehen Liebesstürme aus.

 

 

 

 

 

Zärtliche Innigkeit

Man muss die Geschichten der beiden Komponisten Tschaikowski und Sibelius nicht kennen, um sie zu erahnen nach diesem Ballettabend im ausverkauften Großen Haus. Um die Tragik zu spüren, die sie umweht, jene Kraft, die zerstört und zugleich produktiv wirkt wie keine andere. Stefano Giannetti lässt die Geschichten  sich doppelt erzählen, in Ton und Tanz; er bringt große Gefühle verstörend schön zum Ausdruck, setzt Musik und Tanz in ein mäeutisches Verhältnis, in dem sie sich gegenseitig interpretieren und verstärken. Bewegung  und Musik verschmelzen zur Einheit, ohne zum bloßen Imitieren abzugleiten.  Beide Male dient eine Fünfte Symphonie zur Grundlage der choreografischen Einschreibungen. Peter Tschaikowskis Fünfte, die eine ungeheure Bandbreite an Gefühlen zu Musik verdichtet. Denen Giannetti tänzerischen Ausdruck verleiht, um sowohl die Liebesstürme des Komponisten zu visiualisieren als auch die der Musik innewohnenden großen Gefühle miterlebbar werden zu lassen.

Eine zärtliche Innigkeit ohne Hauch von Peinlichkeit rührt jeden an, wenn Chris Kobusch und Salvatore Nicolosi das Bergende in der Liebe suchend den Kopf auf Schultern und Schoß legen, ihre Körper aus der Vereinzelung heraustreten und zur Zweisamkeit verschmelzen. Beide Tänzer verfügen über Charisma, Ausstrahlung und Ausdruckskraft, man sieht Tschaikowski – der großartige und hochtalentierte Kobusch, mit einer unwiderstehlichen Suggestivkraft - und  seinen Geliebten Iosif Kotek – Nicolosi, der über die Kunst des Einfühlungsvermögens und wie die gesamte Company über eine profunde Technik verfügt -  vor sich und spürt die Energie, die der Komponist aus dieser tragischen Beziehung gezogen hat.  Nur dass beide unendlich schöner sind als die realen Protagonisten damals. Die virile, dabei unerbittliche Gegenwelt stellt ihre Ansprüche, wenn  Daniel Abbruzzese,  Riccardo Marchiori und  Kei Tanaka bedrängend nahe kommen, wenn ihre Sprungkraft und ihre Konformität, die sich in der durchgehenden Synchronität aller Tänzerinnen und Tänzer hier im Besonderen  Ausdruck verschafft, so dass der Zuschauer nicht mehr an die Choleravariante, sondern an den erzwungenen Selbstmord glauben möchte.  Was für eine Primadonna: Welche Innigkeit, Anmut, vollendete Körpersprache  Elonora Fabrizi ausstrahlt! In den Frauenrollen greift Giannetti noch einmal verstärkt auf das Repertoire des klassischen Balletts zurück.  Wobei die Kreativität des Italieners sich in nie gesehenen  Bewegungen und Figuren ausdrückt. Der Atem stockt, wenn der gescheiterte Versuch zur Andeutung gebracht wird, mit dem Tschaikowski die Ehe vollziehen wollte. Tragik aller Männerliebenden, die so gerne  gesellschaftskonform auftreten möchten.    Letizia Cirri, Laure Courau,  Gabriella  Limatola und  Flavia Samper ergänzen die Frauenwelt im Leben des Komponisten, Mutter, seine Mäzenin von Meck, seine Gouvernante Fanny Durbach, die ihn verschmähende Sängerin Artôt, die vor ihm wusste, dass es für bisexuell nicht reichte. Es ist nicht wichtig in dieser Choreografie, die zuzuordnenden Personen zu kennen. Alle stehen für das Weibliche, dem die vier elegant, technisch auf hohem Niveau, anmutig  und selbstbewusst Ausdruck verleihen.

Die Geschichte von Jean Sibelius macht Giannetti zu einer Hommage an die Liebesstürme eines Mannes, dessen Produktivität versiegt in dem Augenblick, als er domestiziert wird. Als Alkoholabusus und Ehebruch wie das Komponieren eingestellt werden. Wieder braucht die Botschaft kein Hintergrundwissen. Die Musik gleichförmiger, fließender, nicht mit den großen emotionalen Ausschlägen, dabei wunderbar differenziert und fast schon heiter.  Wie schon bei Tschaikowski einfühlsam, in perfekter Synchronität zu dem Geschehen auf der Bühne, sich selbst interpretierend, unter der versierten und engagierten Leitung von GMD Uwe Sandner vom Orchester des Pfalztheaters intoniert. Wieder die Fünfte.  Das Bühnenbild komplett anders.  Thomas Dörfler arbeitet mit Lichtinstallationen, vorzüglich umgesetzt von Manfred Wilkens. Mit  lamellenartigen Seitenausgängen. Mit Abstraktionen, deren Raute am Hintergrund an das ewig Weibliche gemahnt, das den in Finnland geborenen Komponisten so anzieht. Die Kostüme, von Stefano Giannetti, ganz in Weiß gehalten. Im ersten Bild herrschen konkrete Fotografien vor, der Ballsaal des Winterpalastes in St. Petersburg, die Stadt an der Newa, das Anwesen in Moskau. Fünf weiße Bögen, ansonsten dient der Raum alleine den tänzerischen Darbietungen. Rot und schwarz die Grundfarben der Kostüme, wobei sich Frauenrot und Männerrot unterscheiden.  Sobir Utabaev gibt Sibelius  exzellent Ausdruck.  Enorm seine Hebekraft, atemberaubend schön, wenn er  die wunderbare Primadonna Gabriella  Limatola zu vollendeter Inkarnation unterschiedlicher Gefühle erhebt. Wieder überzeugen die anderen Protagonisten, nur Kobusch tritt im zweiten Teil nicht mehr auf.

Das Publikum genießt einen Ballettabend, der nachhallt. Großer, nicht enden wollender  Applaus. In den Nachgesprächen ist Stolz zu spüren, auf Orchester, GMD, Company und Giannetti. Das Pfalztheater ist wieder eine Adresse für die hohe Kunst des Balletts.

Frank Herkommer


 

 

 

 

 

Liebesstürme und Beifallstürme

Von: Petra Rödler

Ballett im Großen Haus des Pfalztheaters

Am vergangenen Samstag präsentierte Ballettdirektor Stefano Giannetti auf der großen Bühne des Pfalztheaters seine „Liebesstürme“. Was er und seine Tänzer ernteten, war stürmischer Beifall – minutenlang.

Einmal 50 und einmal 35 Minuten trifft Ballett pur auf Symphonie pur. Bereits nach dem ersten Teil gab es jede Menge Applaus für das Ballettensemble und die Symphonie Nr. 5 von Peter I. Tschaikowski. Tschaikowski verbrachte viele Jahre seines Lebens in St. Petersburg. Seine Symphonie beinhaltet alle Stimmungsbilder, von Glücksgefühlen und Freudentaumel bis hin zu schwermütiger Schicksalsergebenheit – ausdrucksvoll getanzt von den Tänzerinnen und Tänzern, die in klassischem Rot und Schwarz vor einem Lichtrahmen in den prunkvoll projizierten Räumen Akzente setzen. Stefano Giannetti nimmt einen Teil aus Tschaikowskis Leben auf, der sich zu Männern hingezogen fühlte. Er zeigt die Zweifel, die Zerrissenheit, aber auch das Glück… 15 Minuten zeigen die Männer des Ballettensembles am Anfang alleine auf der Bühne wie kraftvoll, einfühlsam und pur, aber auch exakt Tanz sein kann. Bravo! Natürlich kommen die Frauen, wie im wahren Leben auch, dann auch ins Spiel und sorgen für so manche Irrung und Wirrung.

Die Symphonie Nr. 5 des in Finnland als Nationalkomponist gefeierten Jean Sibelius ist eine Herausforderung für alle Tänzer. Stefano Giannetti hat diese Choreographie 2002 bereits als Auftragsarbeit für ein Sibelius-Festival des Finnischen Nationalballetts gemacht. Tanzmäßig ist es ein sehr schwieriges Stück. Dass es seine Compagnie jetzt tanzen darf, ist nicht nur ein Kompliment ihres Chefs. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen im zweiten Teil des Abends, wie sehr sie in den letzten Jahren an sich selbst und mit dem Ballettdirektor gearbeitet haben. Sie leben inzwischen ihren Beruf und das sieht und spürt man, wenn man sie auf der Bühne sieht. Sie sind durchtrainiert und bereit für diese Choreographie. Exakt, mit Körperspannung zeigen sie klassische Elemente und Ausruckstanz. In dem modernen Bühnenbild (weiße, symmetrische Linien auf schwarzem Grund) und mit puren, weißen Kostümen tanzt die Compagnie die Geschichte Sibelius´, der trotz der starken emotionalen Bindung zu seiner Ehefrau nicht von anderen Frauen lassen konnte.

Wieder einmal als genial hat sich die Zusammenarbeit von Stefano Giannetti und Uwe Sandner bewiesen. Der Generalmusikdirektor und sein Orchester bieten dem Ballettensemble eine prächtige musikalische Kulisse.  Schön, dass der Ballettdirektor durchaus auch der Musik ihren Raum lässt, indem er die Tänzer an manchen Stellen zurücknimmt. Eine wunderbare Symbiose zwischen Symphonie und Tanz.

Am Ende der „Liebesstürme“, wenn das Licht ausgeht, bleibt ein „Wow“. Ein Ballettensemble auf seinem vorläufigen Höhepunkt angekommen – davon will man noch mehr sehen.


 

 

 

 

 

Pressespiegel                                                                               Spielzeit 2011/2012

TANZNETZ.DE vom 7. April 2012

 


Wundersame Lebenswege

Stefano Giannettis „Liebesstürme“, ein symphonischer Ballettabend am Pfalztheater Kaiserslautern

Das Ballettensemble des Pfalztheaters Kaiserslautern tanzt in Stefano Giannettis „Liebesstürme“ zu Tschaikowskis Symphonie Nr. 5. Foto © Stephan Walzl.

„Liebesstürme“ titelt der jüngste Ballettabend von Stefano Giannetti am Pfalztheater Kaiserslautern. Der Choreograf, mit feinem Händchen für Handlungsballette, stellt den Russen Peter Iljitsch Tschaikowski (1840 – 1893) dem finnischen Komponisten Jean Sibelius (1865 – 1957) gegenüber. Nur 25 Jahre trennen den älteren Tschaikowski vom jüngeren Sibelius, musikalisch liegen dazwischen jedoch Welten. Was also verbindet die beiden Musiker? Dieser Frage spürt der symphonische Tanzabend nach.
Musikalische Klammer ist beider Fünfte. Tschaikowskis „Symphonie Nr. 5, E-Moll Op. 64“ spiegelt die Zerrissenheit des 48-Jährigen, der nach der vierten Symphonie zehn Jahre gezögert hatte, bevor er sich erneut einer Symphonie widmete. Durch die vier Sätze zieht sich ein Schicksals-motiv, das wiederholt von Glücksgefühlen und Freudentaumel unterbrochen wird. Das Werk polarisiert, während es bei der Uraufführung 1888 in Moskau wenig Anklang findet, befindet der Musikwissenschaftler Josef Sittard nach der deutschen Erstaufführung in Hamburg 1889, die Sinfonie sei eine der „bedeutendsten musikalischen Erscheinungen unserer Zeit“. Der Komponist selbst bezeichnet seine fünfte Sinfonie als „misslungenes Werk“, nennt sie gar sein „Schmerzens-kind“.
Giannetti versöhnt den Komponisten mit dem vermeintlichen Schmerzenskind, interpretiert die facettenreiche Musik als Turbulenzen der Biografie, dekliniert Homoerotik, Bisexualität, kon-ventionelle Ehe (die der Form halber geschlossen wurde) und die mysteriöse Fernbeziehung zu seiner Mäzenin in unterschiedlichen Szenen durch. Klassische Eleganz, männliche Sprungkraft und romantische Schwermut schmückt Giannetti mit folkloristischen Einschüben, setzt minimale Akzente mit raffinierten Brüchen. Auf den Spuren von Marius Petipa streut er Zitate ein, wie das „Rosen-Adagio“ und die Vision des Prinzen aus „Dornröschen“. Dieses Ballett, das kurz nach der Fünften entsteht und musikalisch identische Motive verwendet, hält Tschaikowski übrigens für sein gelungenstes Werk.

„Wo Worte versagen, da fängt die Musik an“, so Tschaikowski, der in der Musik „die persön-lichen Gefühle der Freude oder des Leids zum Ausdruck bringt, ähnlich wie bei einem Lyriker, der seine Seele in Gedichten verströmt. Hier ist ein Programm nicht nur nicht nötig, sondern unmöglich“. Sibelius formuliert fast identisch: „Für mich fängt die Musik dort an, wo die Musik aufhört“. Gleiche Gedanken zum symphonischen Schaffen, ähnliche Umwege, die schließlich zur Musik als Profession führen, vergleichbare Selbstzweifel bezogen auf die kompositorische Arbeit, kann man die beiden Musiker als Seelenverwandte verstehen, deren Differenz dem Zeitgeist geschuldet ist.


Das Ballettensemble des Pfalztheaters Kaiserslautern in Stefano Giannettis „Liebesstürme“ tanzt zur Musik von Jean Sibelius. Foto © Stephan Walzl.


Jede der sieben Symphonien von Sibelius trägt einen ganz eigenen Charakter. Lässt sich in seinen ersten beiden Symphonien noch der Einfluss Tschaikowskis nachweisen, gelingt es ihm im Spannungsfeld der Zeitströmungen von der Spätromantik über den Impressionismus und Neo-klassizismus bis zur Atonalität, einen ganz eigenen, individuellen Stil zu entwickeln. Er ist 50 Jahre alt, als er seine Fünfte verfasst, obwohl sie in der Zeit des Ersten Weltkriegs entsteht, strahlt sie über weite Strecken einen fast unbekümmerten Optimismus aus.
Modernität, Abstraktion, klare Strukturen und etwas von diesem unbekümmerten Optimismus atmet Giannettis Neoklassik. Diese Choreografie, die er 2002 für das finnische Nationalballett in Helsinki choreografiert hatte, ist nicht zuletzt auch eine Reverenz an den von ihm verehrten George Balanchine. Der Altmeister hätte an der fantastischen Tanztechnik und Ausdruckskraft des 14-köpfigen Ensembles seine Freude gehabt. Was sich als Hommage an zwei seelen-verwandte Komponisten ausgibt, ist zugleich eine Reverenz an den Tanz und zwei große Choreografen: Marius Petipa und George Balanchine.

 

 

Leonore Welzin


 

 

 

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