LA WALLY
Rundum gelungener Einstand
PR 29.9.
Am Landestheater Innsbruck war die Eröffnungspremiere der Spielzeit 2012/13 mit Spannung erwartet worden. Johannes Reitmeier gab dort als Nachfolger der so erfolgreichen wie beliebten Brigitte Fassbaender seinen Einstand als Intendant und präsentierte sich am dem Innsbrucker Publikum zudem als Regisseur von Alfredo Catalanis „La Wally“. Die Oper basiert auf dem von Wilhelmine von Hillern verfassten Geierwally-Roman, der im kaum eine Autostunde von Innsbruck entfernten Sölden spielt.
Die Geschichte ist schnell erzählt: die wilde Gutsherrntochter Wally soll nach dem Willen Ihres Vaters den Verwalter Vinzenz Gellner heiraten, obwohl sie den Jäger Josef Hagenbach liebt. Deshalb verlässt sie mit ihrem Jugendfreund Walter den heimischen Hof und kehrt erst nach dem Tod des jähzornigen Vaters zurück. Als Hagenbach sie auf einen Fest vor versammelter Dorfmannschaft düpiert, verlangt sie von Gellner, den Jäger zu töten, rettet diesen dann jedoch aus einer Schlucht und zieht sich in die einsame Bergwelt zurück. Als Hagenbach zu ihr empor steigt, um sie um Verzeihung zu bitten und ihr seine Liebe zu gestehen, reißt ihn eine Lawine in die Tiefe und die verzweifelte Wally stürzt sich ihm in den Abgrund nach.
Heimvorteil also, sollte man meinen – doch die Oper war bisher in Innsbruck nicht gezeigt worden. Reitmeier verzichtete in seiner Umsetzung vielleicht auch deshalb bewusst auf Aktualisierung, ohne Bergmassive aus Pappmaché auf die Bühne zu bringen. Statt dessen ließ er sich von Thomas Dörfler eine eisblaue Gletscherwelt bauen, gleichsam Symbol für die Seelenwelt Wallys nach dem Affront des Geliebten, in die sich mittels Bühnentechnik äußerst wandelbar bald hier eine Stube erhebt, bald dort eine Schlucht senkt. Michael Zimmermann bewies zudem den hier notwendigen Mut zu Lokalkolorit und entwarf hinreißende, an die Tiroler Trachtenmode des 19. Jahrhunderts angelehnte Kostüme. Der Regisseur beschränkt sich darauf, die Geschichte zu erzählen, schafft zusätzlich Authentizität, indem er beispielsweise Perchten – Geisterwesen aus der alpinen Sagenwelt – auftreten lässt, und erweitert Handlungsstränge gekonnt im bespielten Vorspiel zum vierten Akt.
Unterstützt wird er hierbei von Alexander Rumpf, der für die musikalische Leitung des Abends verantwortlich zeichnet. Er hat sich hörbar intensiv mit der vielschichtigen Partitur auseinander gesetzt und entlockt ihr mit dem glänzend vorbereiteten Tiroler Symphonieorchester Innsbruck mannigfaltige Farben, auch wenn er an der einen oder anderen Stelle ein wenig zum Schleppen neigt.
Die Sängerriege erweist sich durch die Bank als Glücksgriff. Der Gasttenor Paulo Ferreira meistert die anspruchsvolle Partie des Hagenbach mit Bravour, Bernd Valentin überzeugt als sein Gegenspieler Gellner. Melanie Lang als Afra gefällt mit warmem Mezzo und variantenreichem Spiel, Johannes Wimmer stellt als Soldat sein komödiantisches Talent unter Beweis. Sophie Mitterhubers beweglicher Sopran erklimmt als Hosenrolle Walter mühelos die höchsten Höhen, überrascht mit einem in der Tat gejodelten Auftrittsjodler und entlockt damit dem ansonsten in dieser Beziehung recht klatschfaulen Premierenpublikum den einzigen Szenenapplaus des Abends, Marc Kugel gibt überzeugend den alten Patriarchen Stromminger.
Verdiente Königin des Abends ist allerdings die kanadische Sopranistin Jennifer Maines. Seit acht Jahren Ensemblemitglied am Landestheater zieht sie stimmlich wie darstellerisch alle Register, um der facettenreichen Figur der Wally Leben einzuhauchen. Sie klingt hier mädchenhaft verletzlich, dort kraftvoll-energisch, spielt hier ebenso überzeugend die verzweifelt Liebende wie dort die unnahbare gute Partie und meistert nicht nur das berühmte „Ebben, ne andró lontana“ mit Bravour.
Bei dieser hervorragenden Teamleistung stören besonders die handwerklich beinahe schlampig gemachten Striche in der Tenorpartie des Schlussaktes. Da und dort fehlen einige wenige Takte, der Text ist bisweilen mitten im Satz unterbrochen. Sinnstiftend ist die Beschneidung des Notenmaterials indes nicht – vielmehr sind Catalanis reichen Melodienbögen unterbrochen, klingt die Sequenz auch für den Nichtkenner fast ein wenig nach Schluckauf. Trauriger Höhepunkt ist die bis auf die Schlusszeile schlicht nicht dargebotene, vergleichsweise bekannte Schlussarie des Hagenbach (man stelle sich ein „Nessun dorma“ vor, das nur aus zwei „Vinceró“-Rufen besteht). Zweifellos präsentiert Ferreira diese eine Zeile extrem kraftvoll und hält den Schlusston effektvoll lange, doch fragt man sich, ob die erwähnten Striche einem Aufsparen eben dieser Kraft geschuldet sind oder warum sonst sich Dirigent, Regisseur und Künstler auf diese Art der Darbietung haben einigen können.
Dies jedoch ist der einzige Wermutstropfen an einem ansonsten rundum runden Opernabend. Von andernorts in Premieren oft noch beobachteten Abstimmungsproblemen zwischen Bühne und Graben keine Spur. Das Publikum feiert Künstler und Produktionsteam gerechterweise mit anhaltendem und starken Applaus, Johannes Reitmeier hat die Feuerprobe bestanden und man wünscht ihm, seinen Künstlern und seinem Publikum viele weitere gleicherweise kurzweilige Opernabende am Tiroler Landestheater.
Jochen Rüth