Die Rheinpfalz
Ein ganz spezielles Gespür
Mit „Aida“ von Elton John und Tim Rice setzt das Pfalztheater Kaiserslautern seine große Musical-Tradition fort
Von Dagmar Gilcher
Musical am Pfalztheater: Das bedeutet seit vielen Jahren schon eine sichere Nummer. Die Garantie für eine perfekte Bühnenshow mit den idealen Darstellern. Das war diesmal nicht anders, bei Elton Johns „Aida“, der modernen Version der alten Opern-Geschichte von der äthiopischen Sklavin Aida und ihrer Liebe zum ägyptischen Feldherrn Radames – in Szene gesetzt vom nach Innsbruck gewechselten Kaiserslauterer Ex-Intendanten Johannes Reitmeier.Ein bedauernswertes Wesen, diese Aida: Seit sie im Dezember 1871 das Licht der Bühnenwelt erblickte, war sie Missverständnissen ausgesetzt. Dabei hat Giuseppe Verdi mit seiner wohl populärsten Oper – trotz Triumphmarsch – keineswegs ein Arena-Spektakel, sondern eine zärtlich-intime, mitunter geradezu impressionistisch flirrende Musik zu der traurigen Handlung zweier im Tod vereinter Liebender komponiert. Eine im 19. Jahrhundert von einem französischen Altertumsforscher erdachte Geschichte, die man fast 150 Jahre später fraglos auch einmal anders erzählen darf. Weswegen es durchaus ratsam sein kann, alles, was man über Aida zu wissen glaubte, über Bord zu werfen und (dies sei vor allem Opernfreunden empfohlen) auch eventuell gehegte Vorurteile über die schillernde Pop-Ikone Elton John kurz beiseitezuschieben. Denn in diesem Musical gibt es zwar nicht unbedingt den einen „Ohrwurm“ und rundherum noch ein paar andere Titel – wie so oft, wenn Aida-Songtexter Tim Rice im Team mit Andrew Lloyd Webber arbeitet –, sondern eine erstaunliche musikalische Vielfalt, die von der Rock-Nummer über Reggae, Gospel bis hin zu afrikanischen Rhythmen reicht. Letztere, mit viel Oboe und Englischhorn dazu, kennt man als Orientalismen in der klassischen Musik schon seit Félicien Davids heute völlig vergessener Wüsten-Ode „Le désert“ von 1844. Dass für ein solch breites musikalisches Spektrum weder eine Band noch ein klassisches Orchester alleine genügen, liegt auf der Hand. Am Pfalztheater spielen Vanden Plas – ob mit oder ohne Frontmann Andy Kuntz musicalerprobt – zusammen mit einer kleinen klassischen Orchesterbesetzung, durch alle jeweils unbekannten musikalischen Zonen zuverlässig geleitet von Markus Bieringer. Der, eben noch zu Recht als Mozart-Dirigent gefeiert, führt auch den viel beschäftigten Extrachor des Pfalztheaters sicher von Einsatz zu Einsatz, was deswegen besonderer Erwähnung bedarf, weil dieser eben nicht nur mit Singen (Einstudierung: Ulrich Nolte), sondern auch mit Tanzen beschäftigt ist. Womit wir wieder beim ganz speziellen Pfalztheater-Gespür fürs Musical angelangt wären …
… sowie bei Randy Diamond und dessen abwechslungsreicher Choreographie, in der er sich selbst auch als Sänger und Darsteller bewegt: in der Rolle des Bösewichts, die in dieser „Aida“ nicht der von Radames verschmähten Prinzessin Amneris, sondern von Zoser, dem Vater des Feldherrn, übernommen wird. Amneris dagegen ist das verwöhnte Mode-Püppchen, das langsam begreift und am Ende Verantwortung übernimmt: Astrid Vosberg zeigt die ganze Bandbreite, von komisch bis tragisch und – trotz mancher Banalität in den deutschen Songtexten – immer glaubhaft. Weil ein Musical nun mal primär der Unterhaltung dient, gibt es als Buffo-Figur noch Mereb, das nubische Hausfaktotum am ägyptischen Hof, verkörpert von Daniel Böhm, der nichtsdestotrotz einen äußerst effektvollen Bühnentod sterben darf. Und als optisch wie stimmstark ideales Liebespaar sind Martin Pasching und Sigalit Feig ein weiterer Glanzpunkt der Produktion – wobei diese Aida im Gegensatz zum langsam begreifenden „Helden“ Radames die eindeutig stärkere ist. Bevor sich die ganze Handlung als Traum in der Ägypten-Abteilung eines Museums erweist, sieht wieder alles so aus wie in der Oper: oben Amneris, unten das Liebespaar im Wüstengrab.
Und dies ist dann auch der Augenblick, in dem man sich heftig nach Giuseppe Verdi sehnt, was weder an den Darstellern noch an der Musik liegt, sondern an den teilweise nur schwer erträglichen deutschen Songtexten von Michael Kunze: „Ich verachte, was man mit uns macht, weil ich so nicht leben will…“ Verständlich, wenn man gerade eingemauert wird. Dass diese und andere Sprachperlen den Elton-John-Aida-Traum in einem ägyptischen Museum nicht wesentlich stören, ist nicht zuletzt der mit sicherer Hand komische wie tragische Elemente ausgleichenden Regie von Johannes Reitmeier, den fantasievollen Kostümen von Michael D. Zimmermann, den unaufdringlichen und gerade deswegen umso effektvolleren Videoprojektionen von Karl-Heinz Christmann und Thomas Dörflers von einer Treppenpyramide dominierten, von Harald Zidek ins rechte Licht gesetzten ägyptischen Szenerie zu verdanken. Fazit: Einmal mehr eine sehenswerte Musical-Produktion am Pfalztheater.