OPER AKTUELL

Kaiserslautern: DAS WUNDER DER HELIANE, 10.04.2010

Gleich zu Beginn wird klar: In dieser kalten, lieblosen Umgebung, auf diesem an eine Bohrinsel erinnernden, abgeschlossenen Schauplatz (Bühne Daniel Dvořák) kann es keine zwischenmenschlichen Gefühle, keine Liebe geben. In Einheitsoveralls (Kostüme: Thomas Dörfler), eingeschüchtert von schwarz gekleideten Schergen schleicht das Volk dahin. Grüne Revolutionäre, welche freie Liebe predigen, werden gnadenlos hingerichtet. Das Team um Regisseur Johannes Reitmeier hat eine geradezu überwältigend klare Bildsprache für das heutige Publikum gefunden. Der kalte Maschinenraum mit der riesigen Turbine im Hintergrund wird nur spärlich mit Mobiliar versehen: Heliane erscheint wie ein rares Schmuckstück ausgestellt in einer gläsernen Vitrine, der Fremde wird schon bald auf einen elektrischen Stuhl gesetzt, Ledersofas, Sessel und ein überdimensionierter Schreibtisch für die Gemächer des Herrschers im zweiten Akt, ein schlichtes Bett für die Albtraumszene im dritten Akt. Die Richter treten in Rollstühlen auf, erinnern an alte, impotente Kardinäle in ihren roten Roben, mindestens auf einem Auge blind, der Schwertrichter gar auf beiden. Dies alles wirkt zusammen mit der ausgezeichneten Lichtdramaturgie von Manfred Wilking sehr schlüssig. Reitmeier hat gegen Ende zwar einige Anweisungen des Librettos umgedeutet, doch durchaus stringent: Die Botin versucht vergeblich Heliane zu erschlagen, deren Seele ist jedoch bereits mit dem Fremden dem irdischen Jammertal entrückt. Der verzweifelte Herrscher, welcher ja seine Frau stets geliebt hat, ersticht Heliane, erschiesst die Botin und richtet sich danach selbst. Das Volk hingegen kann mit der gewonnen Freiheit nicht umgehen: Nur kurz öffnen sie die grauen Overalls, farbige T-Shirts leuchten darunter, doch gleich darauf streifen sie sich die graue Einheitskleidung wieder über. Ein starkes Bild!

Das Pfalztheater Kaiserslautern hat sich mit dem WUNDER DER HELIANE an eine der komplexesten Partituren der Zwischenkriegszeit gewagt – und gewonnen. Gerade was aus dem Orchestergraben (das Orchester des Pfalztheaters spielte unter der umsichtigen, feinfühligen Leitung von Uwe Sandner) zu hören war, begeisterte. Uwe Sandner verstand es, sowohl das gleissend Expressive von Korngolds Musik als auch das verletzlich Stille hörbar zu machen, eine stimmige Balance herzustellen, sich vor dramatischen Ausbrüchen in schneidendem fortissimo nicht zu scheuen und doch immer wieder zart aufschimmernde Kantilenen hervorzuheben. Einige Wackler und Intonationstrübungen (auch solche des ansonsten die extrem vertrackten Chorpassagen klangstark singenden Chors und Extrachors des Pfalztheaters) werden in kommenden Aufführungen bestimmt noch verschwinden.

Die schwierige Besetzung der extrem fordernden Hauptpartien des Werks stellt bestimmt das Haupthindernis für die Verbreitung dieser wunderbaren Oper dar. Sally du Randt singt die Titelpartie mit einer ein riesiges dynamisches Spektrum abdeckenden, grossen Stimme. Ihr manchmal etwas abgedunkeltes Timbre mag gewöhnungsbedürftig sein, sie verfügt nicht über eine stromlinienförmige 0815 Stimme. Doch die ungeheure Kraft, das vornehme Zurücknehmen, der sanfte Ansatz in der Höhe machen ihr Porträt der unglücklichen, verzweifelt Liebenden und zerbrechlichen Frau zu einem Ereignis. Derrick Lawrence wirkt trotz seiner massigen Gestalt in der weissen Uniform gar nicht so tyrannisch als Herrscher. Sein gepflegter Bariton wirkt schon beinahe zu weich für die Rolle, doch gerade dadurch erfährt die Partie zusätzliche, bedenkenswerte Facetten. Die dämonische Botin wird durch Silvia Hablowetz's Darstellung zu einem zentralen Angelpunkt der Aufführung. Von ihren stummen Auftritten im ersten Akt zum verschlagenen Intrigieren im zweiten und dem beinahe hysterischen – vermeintlichen - Triumph im dritten Akt zeichnet die Mezzosopranistin sowohl darstellerisch als auch stimmlich ein faszinierendes Frauenporträt. Ganz hervorragend der Schwertrichter von Hans-Jörg Bock und der warme Klang von Alexis Wagners Stimme als Pförtner.

Bleibt die Rolle des Fremden, diese wohl schwierigste Partie der Oper und eine der unangenehmsten des gesamten Repertoires: Norbert Schmittberg verdient Bewunderung und Dank dafür, dass er sich dieser Herausforderung gestellt hat. Seine Stimme verfügt sowohl über den notwendigen belcantesken Schmelz als auch die dramatische, heldentenorale Kraft, um die gewaltigen Orchesterfluten zu durchdringen. Doch forderte die Rolle am Premierenabend ihren Tribut: Immer öfter überschlug sich die Stimme, wenn er nicht im forte sang (was er dankenswerterweise nicht tat), die Intonation in der Höhe war schwankend, oftmals brach die Stimme komplett weg. Der Künstler hatte nur acht Wochen Zeit, um die Partie zu lernen. Mit zunehmender Vertrautheit wird er seine Kräfte bestimmt besser einteilen und somit die Rolle ausgewogener gestalten können.

Doch sollen diese Einschränkungen nicht von einem Besuch im Pfalztheater abhalten: Dieses spannende Werk hat Gänsehautcharakter und wird in Deutschland so bald nicht wieder zu erleben sein – dafür aber in Brünn, dem Koproduktionspartner des Pfalztheaters, im Jahre 2012.

Fazit:

Enthusiastischer Jubel für diese Wiederentdeckung von Korngolds grandioser Partitur. Dem Pfalztheater gebührt höchster Respekt für den Mut, diese immense Anforderungen stellende Oper dem Publikum zu offenbaren, 22 Jahre nach der letzten Aufführung in Deutschland (Bielefeld 1988).

Hingehen, sich den schwülstigen, phänomenal orchestrierten Klangmassen ergeben und sich von den intensiven DarstellerInnen berühren lassen!

Österreichischer Musiktheaterpreis 2023 für "Die Passagierin" am Tiroler Landestheater!